Zugegeben „Windelfrei“ klingt für die meisten wohl erst mal völlig verrückt. Babys und Windeln sind in unserem Bewusstsein einfach fest mit einander Verknüpft. Auch ich war zunächst ziemlich skeptisch. In meiner Vorstellung war es nur möglich ein Baby ohne Windeln zu lassen, wenn man es wirklich permanent im Blick hat... und dass ist jawohl nur was für absolute Übermütter, zu denen ich mich nicht gezählt habe. Wie soll das also funktionieren? Man hört ja auch überall, dass Kinder erst ab einem gewissen Alter fähig sind überhaupt eine Kontrolle über  ihren Schließmuskel zu erlangen. Inzwischen weiß ich, dass man weder sein Kind permanent beobachten muss, weil es gar nicht unbedingt permanent ohne Windel ist, noch dass Babys ein gewisses Alter haben müssen, um ihren Schließmuskel kontrollieren zu können.

Bei Windelfrei geht es also gar nicht darum, gar keine Windeln zu benutzen, sondern dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich auch außerhalb der Windel zu erleichtern. Und ja, die meisten Windelfrei Kinder tragen tatsächlich auch irgendeine Art von Windel, als Backup. Für den Fall, dass ich mal nicht rechtzeitig mitbekomme, dass mein Kind muss. Es geht also vielmehr um achtsame Kommunikation (im Englischen heißt es daher auch oft elemination communication) und ist somit ein weiterer Baustein eines Bindungsorientierten Umgangs. Denn ich nehme das Ausscheidungsbedürfnis des Kindes ernst und reagiere darauf. Windelfrei ist in erster Linie: hinhören, abhalten und nach Bedarf wickeln.

Und tatsächlich ist es so, dass Babys es merken und schon vor ihrem Geschäft signalisieren, dass sich was tut. Babys haben nämlich, genau wie wir Erwachsene, das Bedürfnis trocken und sauber zu sein. Sie wollen intuitiv sich selbst, ihre Bezugspersonen sowie ihr Nest nicht beschmutzen. Was auch durchaus Sinn macht, wenn wir in die Zeit der Jäger und Sammler zurück schauen: Fäkalien sind ein guter Nährboden für Keime und der Geruch kann durchaus Fressfeinde anlocken. Und genau dieses Signalisieren gibt den Eltern die Möglichkeit darauf zu reagieren und das Kind abzuhalten.

Aber wie funktioniert es denn nun?

Windelfrei geht also davon aus, dass das Baby von Anfang an bereit ist, seine Ausscheidungsbedürfnisse wahr zu nehmen und auch schon ein Stück weit kontrollieren kann und bietet dem Kind dann Orientierung durch einen strukturierten Ablauf (Signal vom Kind, ausziehen, Abhalteposition, Signallaut der Eltern, Ausscheidung). Werden Babys regelmäßig auf ihr Signalisieren hin abgehalten, spielt sich dies immer zuverlässiger ein.

Es gibt dabei verschiedene Möglichkeiten Windelfrei zu praktizieren. Ich muss gar nicht zwangsläufig versuchen jedes Pippi und jedes Kacka aufzufangen. Ich kann mein Baby auch erst mal nur zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Situationen abhalten. Viele etwas größere Babys machen z.B. meist nach den Stillen/Füttern und nach dem Schlafen. Gute Zeiten, die ich zum Abhalten nutzen kann, anstatt erst darauf zu warten, dass die Windel voll ist und dann zu wickeln.

Aber ist es denn nicht trotzdem viel mehr Aufwand, als einfach zu wickeln?

In der Regel ist es nicht unbedingt mehr Aufwand, sondern, wie oben schon erwähnt, nur ein anderer Ablauf. Ich warte nicht erst darauf, dass die Windel voll ist, sondern halte vorher schon ab. Das erspart mir so manch eine ausgelaufene Windel, bei der der Aufwand zum Saubermachen ja auch recht groß ist.

Außerdem lohnt sich hier ein langfristiger Blick: Wenn ich Windelfrei praktiziere, behält das Baby die Empfindungen für sein Ausscheidungsbedürfnis bei und lernt auch recht früh diese in gewisser Weise zu kontrollieren. Ich bringe meinem Baby also nicht erst bei seine körperlichen Funktionen zu ignorieren, um dann mit 2-3 Jahren genau das Gegenteil zu üben, wenn es darum geht, dass das Kind trocken wird. Klingt doch irgendwie logisch, oder?

Nicola Schmidt schreibt in ihrem Buch so schön:

„Am Anfang ist man sowieso damit beschäftigt sein Kind kennenzulernen und Bedürfnisse herauszufinden: Muss es trinken? Schlafen? Kuscheln? Es wird lediglich die Frage: Muss es mal? Hinzugefügt. Und wie das Stillen wird das Abhalten irgendwann zur Gewohnheit, man macht es einfach.“  (Nicola Schmidt, artgerecht – Das andere Babybuch S. 223)

 

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